Das schöne Motorrad und das Biest –eine ganz persönliche Entwicklung
Was für ein schönes Motorrad.. so etwas liegt ja bekanntlich im Auge des Betrachters.
Es muss aber zwingend über Luftkühlung, Speichenräder und eine schöne Trommelbremse vorn und neuerdings meist über einen Sitzhöcker verfügen-oder?
Also ein schöner Engländer aus den Sechzigern? Wunderschöner , wohlproportionierter Fahrzeugbau mit einem Fahrerlebnis, das dem Fahrer –oder nein- eher dem Maschinisten auch nach vielen Jahren noch Gänsehaut bis zu den Fußsohlen verursacht: Allein das mechanische Anwerfen des Motors ist in jedem Fall ein Erlebnis- auch wenn die Kiste nicht anspringt- eben dann nur anders herum…Auch ist in dieser Hinsicht das vollständige Verständnis ( und bisweilen auch das Beherrschen) der mechanischen Abläufe sehr reizvoll. Keine von Zauberhand funktionierende Blackbox oder Fahrwerke, deren Einstellung bereits eine Ausbildung erfordert und eine Instandsetzung sich außerhalb des Labors schon schwierig gestaltet. Oder das Gefühl sich beim vollen Aufziehen entscheiden zu müssen, ob die Sorge um die eigenen Zahnplomben oder die kurz vor dem Absprengen befindlichen Zylinderköpfe überwiegt - in jeder Hinsicht unnachahmlich.
Nur leider lässt die Begeisterung, nach der Ausfahrt am Samstag mal schnell eine Dichtung oder ein durchvibriertes Teil zu wechseln, im Laufe der Beziehung-je nach Leidendsfähigkeit-etwas nach.
Also eine schicke pflegeleichte Retroschnitte her –nur leider sind diese häufig vor allem eines---schick!
Oft etwas blutarm, bisweilen im Vergleich zu Ihren Vorfahren blutleer, stimmen trotz Zusammenfügens schöner Einzelteile die Proportionen hier und da nicht so recht. Irgendwie will der von den alten Engländern gewohnte Wonneschauer nicht so recht ins Gebälk springen. Liegt es nur an dem Verhältnis der oft zu massig wirkenden Motorengehäuse zu der Zylindereinheit oder der Lackierung der Aluminiumteile, die dann etwas steril wirken?
Ein kurzer Radstand der zierlichen Originale mit 19 Zoll Rädern wirkt irgendwie doch schlüssig und gut proportioniert. Oder fehlt die Rohheit der alten Brüllgusten , ihre unlackierten (oxidierten oder polierten) Gussteile, die neue Fahrzeuge –das muss gerechterweise erwähnt werden- nicht bieten dürfen und können.
Und eine Nachahmung kann eben bestenfalls an ein ausgereiftes Original heranreichen, aber nicht vorbeiziehen.
Ist es am Ende mit den genannten Schönheitsidealen des Motorrades so, wie mit anderen Idealen auch?
-denken wir mal an Pin Up Sticker - bestimmte Maße müssen eben sein. Vieles aus einer Standart-Gussform –meistens auch noch die selbe Charge…
Wenn‘s aber nicht authentisch ist und der goldene Schnitt nicht hinhaut-da nützt eben alles nichts.
Die Zutaten allein zusammenschmeißen macht es nicht –gell ihr Maler , Köche, Designer und Bäcker.
Und seien wir mal ehrlich (Achtung großes Mienenfeld!!!!) -es gibt Motorräder neuerer Bauart die verstecken den schönen Rippenmotor hinter Leitungsgewirr und Rahmenzügen. Dazu wird ein oft nicht sehr ansehnlicher Ölkühler vorn im Sichtfeld montiert. Die sichtbaren Teile des Motors vergisst man herstellerseitig auch nicht mit Kunststoff-Abdeckungen und -Schächten zu garnieren.
Wahrscheinlich ist unterm Strich ein ehrliches, dem Grundcharakter des Aufbaues folgendes Krad die Lösung-selbst wenn vermeintlich unattraktive Einzelteile dranhängen.
Da sind wir wieder bei uns selbst: Wie viele Menschen kennen wir, deren Körperteile nicht gerade dem gängigen Schönheitsideal folgen, die uns aber durch ihr authentisches Wesen extrem sympathisch sind ? !
Und nun ????
Zeigt mir doch eines Tages Bürger P. das Foto eines Motorrades. Es entsprach so gar nicht dem gängigen Klischee –oh je… auch noch ein Japaner mit so furchtbaren Felgen –Comstar oder so…Das Motorgehäuse geht ja noch-aber die Zylinder –Allmächtiger- nicht den Ansatz einer Kühlrippe.
Die Heckansicht offenbart zwei rudimentär aus dem Gehäuse wuchernde –ja was eigentlich-kleine Reaktoren oder sowas…Irgendwie sieht das Ganze so nach Nullserienrennerle aus-oder fast wie schmucklos für den Wettbewerb gebaute Zweitaktzylinder –keine Ahnung –aus meiner Sicht aber sehr schlüssig in der Aneinanderreihung von Grobheiten. Dazu passen die eingewickelten Krümmer vom Typ Mumie oder „Junge Sanitäter“ mit Kornährenverband –im Augenblick auch seeeehr angesagt - sieht aber hier tatsächlich prima aus, die Krümmer wirken einfach fetter.
Ich habe den Eindruck, hier steht ein, in seiner Gesamtvorstellung, sehr ehrliches Motorrad vor mir, obwohl mit schlimmen Felgen, LKW-Wasserkühler im Kleinformat und den beschriebenen Zylindern gesegnet. Als habe es darauf gewartet, zu sich selbst zu finden:- ein problemloses, kerniges und charakterstarkes Alltags – und Spaßmotorrad gleichermaßen zu sein –ohne ständig gezwungen zu werden, mit überbordenden, leistungsstarken Tourern, wilden Designikonen und federleichten Rennern wetteifern zu müssen.
Wenn man Letzteres als Konkurrenz zu den filigranen Einzylindern zaubern wollte, überginge man, glaube ich jedenfalls, den Charakter der Fahrzeugbasis.( man betrachte die sehr soliden, stellenweise auch überdimensionierten Bauteile des Motorrades ! Die Abtriebswelle des Getriebes könnte durchaus in einem kleineren PKW Dienst tun.)
Es ist natürlich meine persönliche Sicht auf die Dinge, es sollte ja jeder nach seinem Gusto leben- trotzdem – man onduliert ja beim Hunde-Friseur aus einem Manchester -Terrier auch keinen Pudel- jedenfalls fände ich es gräulich…
Übrigens - Jahre vorher kam ein Freund mit dem Original bei mir vorbei und ich dachte noch so …och nee, dann lieber gar nicht mehr fahren, als mit diesem Ding rumzugurken.
Inzwischen haben wir zwei dieser Geräte nach unseren Vorstellungen ein wenig modifiziert…hat einen riesigen Spaß gemacht.
Mit schlauchlosen Continental Classic Attack ausgerüstet -ist es trotz der aus heutiger Sicht mageren 50PS - ein riesiger Spaß das handliche Motorrad zu fahren. Und wenn eine Kiste nicht ständig mehr Leistung hat , als ich ( fahrerisch umsetzen kann ) ist das schon in Ordnung -meist sogar gut für's Ego -auch für die Gesundheit...
-ich gebe sie nicht mehr her…
Euer Bürger S.